Predigt des Bischofs zur Priesterweihe

Die Kirche: weder Kriegsschiff noch Kaffeedampfer, sondern Rettungsboot

Eigentlich könnten heute Sektkorken knallen: ein großer Tag für unser Bistum. Drei Diakone haben sich entschlossen, die Priesterweihe zu erbitten. Gern erfülle ich diesen Wunsch. Wir kennen uns ja jetzt schon ein paar Jahre; als Bischof habe ich mit Freude Ihre Bereitschaftserklärung angenommen, der Kirche von Augsburg als Priester dienen zu wollen. Schön, dass Sie da sind: Roland Kiechle, Markus Kraus und Manuel Reichart. In der Tat: Heute dürfen wir die Sektkorken knallen lassen; heute dürfen wir anstoßen: ein Prosit auf den Herrn Jesus Christus, in dessen Namen ich Sie durch Handauflegung und Gebet weihen darf, ein Prosit auf das Volk Gottes, das auf Sie wartet, ein Prosit auf Ihre Eltern, Geschwister und Freunde, die Sie ins Leben und in den Glauben eingeführt haben, ein Prosit auf den Regens mit seinem Team und ein Prosit auf die Weihekandidaten, dass sie diesen Berufungsweg gehen wollen bis zum Tod. 

Wenn Korken knallen, ist das ein Zeichen für ein großes Fest. Doch eine Sektflasche öffnen birgt auch Risikos. Mir ist es einmal am Germanicum in Rom passiert, dass ich bei einem Festessen zum Nachtisch eine Sektflasche öffnete; und der Korken flog auf den Kopf eines Kardinals, der nicht wusste, wie ihm geschah. Beim Öffnen einer Sektflasche kann es Explosionen geben, vor allem wenn der Druck in der Flasche hoch ist. Auch das sollten wir heute nicht verschweigen. In der Kirche herrscht Druck. Das ist nichts Neues, daran ist auch nicht allein Corona schuld. Denn seit Jahrzehnten wird der Reformdruck einfach ausgesessen – nach dem Motto: Wir lavieren uns durch, wir jonglieren die Sache, wir schaukeln die Kirche. Diese Zeit lehrt uns, dass wir mit solchen Methoden nicht weiterkommen. Sie werden hineingeweiht in eine Kirche unter Druck. Doch keine Angst: Auch diese Zeit ist Gottes Zeit. Sie lädt uns ein, neue Wege zu suchen, um Jesus und sein Evangelium den Menschen anzubieten.   

Dafür tut manchmal ein Ortswechsel gut. Begeben wir uns nach Galiläa. Da hat alles angefangen. Es ist schon ein seltsamer Vorgang, der sich am Ufer des Sees abspielt: Da gehen Fischer wie jeden Tag ihrer Arbeit nach. Gerade haben sie ihre Netze ausgeworfen. Ein Fremder kommt vorbei und sagt: „Kommt, folgt mir nach“ (Mk 1,17). Ohne Zögern lassen sie alles liegen und laufen dem Fremden nach. Zurück bleiben die Netze, die Arbeit, der Vater, die Familien. Was sich die Angehörigen und Mitarbeiter wohl gedacht haben mögen?

Wahrscheinlich waren sie verblüfft, irritiert. Wo kämen wir hin, wenn jeder von einem Augenblick zum anderen alles im Stich lassen wollte: Frau und Kind, Beruf und Familie? Und das auf ein nur vages Versprechen hin: „Ich werde euch zu Menschenfischern machen“ (Mk 1,17). Klingt das nicht nach Nepper, Schlepper, Bauernfänger? Was bedeutet dieses Angebot zur Umschulung? Mag sein, dass der Evangelist diese Szene ein wenig rosarot gemalt hat. Mag sein, dass sich alles etwas bescheidener abgespielt hat. Trotzdem bleibt das Erstaunen über die Spontaneität des Simon und Andreas, des Jakobus und Johannes.

Die heutige Situation sieht anders aus. Die spontane Bereitschaft zur Nachfolge ist rar. Immer mehr Menschen kehren der Kirche den Rücken, von der lautlosen inneren Emigration ganz zu schweigen. Da scheinen alle möglichen Programme wenig zu fruchten: weder Synodenpapiere noch Pastoralkonzepte, keine noch so gelungene Werbung und Marketing-Strategie, auch nicht allein Coaching, Professionalisierung und Selbstoptimierung. Was bei vielen zurückbleibt, ist Frust und Resignation. Doch Lamentieren über die schlechte Lage ist kein guter Ratgeber. Schuldzuweisungen bringen nicht voran.

Es bleibt nur der Blick auf den Anfang. Der Anfang hat es in sich. So hängt viel daran, wie der neue Tag beginnt, was am Morgen unsere ersten Gedanken sind. Ähnlich ist es bei jedem neuen Lebensabschnitt. In der Frische des Anfangs wird das Spätere oft schon vorweggenommen. Das gilt auch für den Anfang des Reiches Gottes. Jesus von Nazareth bricht in das Leben von Menschen ein, die in ihren eingefahrenen Gleisen leben. Er fordert sie ohne Umschweife auf, mit ihm zu gehen. Er redet nicht auf sie ein, er lockt nicht mit Zutraulichkeit, er beruft: Kommt, folgt mir nach! Wenn Jesus ruft, weiß der Berufene nicht im Voraus, was ihn da alles erwartet. Es bleibt nicht bei einem Arbeitsverhältnis, es geht um eine Lebensgemeinschaft. Jesus will nicht, dass wir bei ihm jobben, sondern mit ihm leben. Sein Ruf wird zur Anfrage: Für wen hältst du mich? Was bedeute ich dir? Wie wichtig bin ich dir in deinem Leben?  

Vor diesem Hintergrund bekommt auch die Lebensform nach den „Räten“ des Evangeliums ihren Sinn. Denn das Leben in Armut, Gehorsam und keuscher Ehelosigkeit (Zölibat), das sich schon früh in der Christenheit herausbildete, wurde verstanden als zeichenhafte Antwort auf Jesu Ruf. Wohlgemerkt: nicht als Zwang, sondern als Rat, als Angebot. Weder eine verklemmte Psyche noch eine abwegige Veranlagung haben diese Lebensform ersonnen, sondern eher ein übervolles Herz, das sich verschwenderischen Ausdruck sucht und sich mit nichts zufriedengibt, das weniger ist als Gott selbst. 

Doch es genügt nicht, in Jesu Schatten zu gehen. Der Ruf, ihm zu folgen, ist verknüpft mit dem Auftrag, Menschen zu fischen. Dieser Auftrag macht mich nachdenklich. Wonach fischen wir eigentlich? Woran liegt es, dass Leute zu fliehen scheinen, während wir unsere Netze auswerfen? Sind unsere Netze zu engmaschig gestrickt? Haben die Menschen vielleicht Angst, ihre Freiheit könnte sich in den Maschen unserer Netze verfangen? Können, dürfen wir überhaupt noch werben für Berufe der Kirche?

Diese Fragen lassen mich nicht kalt. Sie führen dazu, das eigene Verhalten unter die Lupe zu nehmen. Ich treffe Personen mit ihren unverwechselbaren Geschichten, mit ihren Ängsten und Nöten, mit ihren Wünschen und Plänen. Diese Leute in ihrer Einzigartigkeit wahrnehmen, ihre Freiheit achten, sie herausziehen aus dem trüben Wasser der Welt, um sie umzubetten in das Wasser des Lebens: Das heißt für mich „Menschenfischer“ sein. Ein paar bescheidene Tipps dafür möchte ich euch, liebe Weihekandidaten, mit auf den Weg geben:

1. Bescheiden bleiben

Nach der Primiz-Tournee werdet ihr bald merken, dass der Weg als Priester kein Spaziergang ist, sondern eher eine Klettertour: anstrengend, anspruchsvoll und fordernd. Auch Menschen können ganz schön herausfordernd sein: Tendenz steigend. Ich habe kein Patentrezept, aber einen guten Rat, der mir persönlich hilft, auskunftsfähig zu sein. Er stammt aus der Feder des Petrus: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt; antwortet aber bescheiden und ehrfürchtig, denn ihr habt ein reines Gewissen.“ (1 Petr 2,15-16) Dass wir gerade nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch in der Kirche viele Konfliktfelder haben, die in die Pfarreien und Gemeinschaften hineinstrahlen, wissen wir alle. So wünsche ich mir – um mit dem Schriftsteller Martin Walser zu sprechen, dass ihr in Streitfragen bemüht seid, „das Reizklima des Rechthabenmüssens auszusetzen“.

2. Gelassen sein

Wie ihr wisst, habe ich lange und gern in Rom gelebt – nicht nur studiert und gearbeitet, sondern Italien auch „gelernt“. Bei diesem Anschauungsunterricht wurde mir Eines wichtig: die „serenità“, Heiterkeit und Gelassenheit. Diese Haltungen brauchen wir gerade jetzt. Laufen wir in den Diskussionen nicht immer gleich heiß! Papst Franziskus beklagt, dass Christen – Priester nicht ausgenommen! – oft zu griesgrämig und wenig freudig aufträten. Solche Leute zögen manchmal ein Gesicht wie „eine in Essig eingelegte Peperoni“. Gerade wir Priester sollten aber Männer der Freude sein. Damit wir uns recht verstehen: Heiterkeit und Gelassenheit sind nicht zu verwechseln mit oberflächlichem „keep smiling“ oder mit einem eintrainierten Pokerface. Im Gegenteil: Die Leute dürfen merken, wie es uns geht. Priester sind keine „Übermenschen“. Gefühle sind nicht tabu. Lassen wir sie zu! Denn auch wir gehören ins Volk Gottes, wir sind einander Schwestern und Brüder. Besser als schauspielern ist authentisch sein. Zur konkreten Anwendung ein Wort des Franz von Sales: „Mit einem Löffel Honig fängt man mehr Fliegen als mit einem Fass voll Essig.“ 

3. Die Mitte stärken

Als ich mich vor fast zwanzig Jahren von Papst Johannes Paul II. als Mitarbeiter verabschiedete, gab er mir ein Brustkreuz mit, auf dessen Rückseite eines seiner Lieblingsworte steht: DUC IN ALTUM! Fahr hinaus auf den See! Was damals Jesus dem Fischer Petrus sagte, das legt er heute jedem von euch ans Herz: Fahr hinaus auf den See! IN ALTUM. Das bedeutet: Fahr auf die hohe See, dorthin, wo das Wasser tief ist. So schnell werden wir der Frage nicht entkommen, wie denn die Kirche zu erneuern sei. DUC IN ALTUM gibt die Richtung an: in altum, in profundum. Nicht so sehr in der Breite, sondern in der Tiefe, in den Tiefen des Herzens, wo der Heilige Geist wohnt und wirkt, da geschieht wahre Erneuerung, d.h. Umkehr und Evangelisierung. Je länger ich darüber nachdenke, umso mehr überzeugt mich der Gedanke: Die geistliche Reform der Kirche setzt weniger auf Strategie und dafür mehr auf Spiritualität. Die Menschen in den Gemeinden erwarten euch als Priester des Herzens, als geistlich-Geistliche – wie es einst Johann Michael Sailer formulierte – und nicht als „Zeit-Geistliche.“ Werdet den Menschen Zeit-Genossen, aber lauft nicht jeder Strömung nach, die dem sog. Zeitgeist huldigt. Letztlich geht es um die Bewahrung und Stärkung der Mitte, nicht politisch, sondern personal. Denn unsere Mitte ist eine Person, Jesus Christus. Er hat sich in die Mitte gestellt und ist in der Mitte geblieben: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, dann werde ich alle an mich ziehen.“ (Joh 12,32) Sucht eure Mitte, bewahrt die Mitte und baut in den Gemeinden die Mitte auf: Jesus Christus. Das ist der einzige Weg, wenn ihr der Einheit dienen wollt.

Die Kirche gleicht einem Schiff. Welchem? Sie ist weder Kriegsschiff noch Kaffeedampfer. Sie ist Rettungsboot für möglichst viele, die gestrandet sind im Leben, die den richtigen Kurs suchen, die ans Ziel kommen wollen. Es ist schön, dass wir heute drei neue Mitglieder unserer Mannschaft an Deck nehmen können. Wir alle wünschen euch eine gute Fahrt! 

Im Morgenlob der byzantinischen Liturgie wird ein sehr ausdrucksstarkes Gebet gesungen. Es lautet: „Christus, unser Gott, gepriesen bist Du, der Du die Fischer zu Allweisen gemacht und ihnen den Heiligen Geist herabgesandt hast. Du hast durch sie die Welt eingefangen: Menschenfreund, Ehre sei Dir! Schnellen und starken Trost schenke Deinen Knechten, wenn unser Geist in Kleinmut fällt, o Jesus. Verlass unsere Seele nicht in der Trübsal, gehe nicht von unsrem Geist in der Not, sondern komme uns immer zuvor, sei uns nahe, sei nahe, der du überall zugegen bist.“

Ja, der HERR ist immer dabei. Er bleibt in unserer Nähe, damit wir vielleicht einmal Wasser schlucken, aber nicht ertrinken. Darauf vertraue ich ganz fest. Es ist nicht unser Schiff, es ist SEINE Kirche. Also: Duc in altum! Fahr hinaus auf den See! Schiff ahoi!

01.07.2022 - Bistum Augsburg , Predigt , Priester